Lässt sich das Vermächtnis durch Pflichtteil reduzieren?

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pflichtteil reduzieren durch vermächtnis

Das Wichtigste im Überblick

Warum die Reduzierung des Pflichtteils durch Vermächtnis für viele Erblasser wichtig ist

Die gesetzliche Regelung des Pflichtteils stellt für viele Erblasser eine erhebliche Einschränkung ihrer Testierfreiheit dar. Sie möchten ihr Vermögen nach eigenen Vorstellungen verteilen, bestimmte Angehörige besonders begünstigen oder andere nur minimal bedenken. Gerade in komplexen Familiensituationen wie Patchwork-Familien oder bei zerrütteten Beziehungen zu einzelnen Kindern kann der Wunsch bestehen, vom gesetzlichen Erbrecht abzuweichen.

Unsere Mandanten bei der Kanzlei Abegg & Abegg suchen häufig nach Möglichkeiten, ihren Nachlass frei nach ihren Wünschen zu verteilen und dabei die gesetzlichen Pflichtteilsansprüche bestimmter Erben zu lenken. Wichtig zu verstehen: Der Pflichtteil selbst kann nicht reduziert werden, aber es gibt rechtliche Wege, Pflichtteilsansprüche zu lenken.

Die rechtlichen Grundlagen: Pflichtteil und Vermächtnis im Überblick

Das Pflichtteilsrecht – eine gesetzliche Einschränkung

Das Pflichtteilsrecht ist in den §§ 2303 ff. BGB geregelt und sichert bestimmten nahen Angehörigen – insbesondere Kindern, Ehepartnern und unter Umständen Eltern – einen Mindestanteil am Nachlass. Dieser Pflichtteil beträgt die Hälfte des gesetzlichen Erbteils und wird als Geldanspruch gegen die Erben geltend gemacht.

Wichtig zu wissen: Der Pflichtteil kann nur in sehr seltenen Ausnahmefällen (§ 2333 BGB) komplett entzogen werden, etwa bei schweren Verfehlungen des Pflichtteilsberechtigten. Eine vollständige Umgehung des Pflichtteilsrechts ist somit kaum möglich – aber eine legale Reduzierung durchaus.

Das Vermächtnis als Gestaltungsinstrument

Ein Vermächtnis (§§ 2147 ff. BGB) ist eine testamentarische Anordnung, durch die der Erblasser einem Begünstigten einen bestimmten Vermögensvorteil zuwendet, ohne ihn zum Erben einzusetzen. Der Vermächtnisnehmer erhält lediglich einen schuldrechtlichen Anspruch gegen den Erben auf Übertragung des vermachten Gegenstands oder Rechts.

Der entscheidende Unterschied zur Erbeinsetzung: Der Vermächtnisnehmer wird nicht Teil der Erbengemeinschaft und haftet nicht für Nachlassverbindlichkeiten. Für die Pflichtteilsgestaltung eröffnet dieser Unterschied interessante Möglichkeiten.

Strategien zur Lenkung des Pflichtteils durch Vermächtnisse

Die Anrechnungsvermächtnis-Strategie

Eine effektive Methode, den Pflichtteil zu lenken, ist das Anrechnungsvermächtnis. Dabei wird der pflichtteilsberechtigten Person ein Vermächtnis zugewendet mit der Anordnung, dass dieses auf den Pflichtteilsanspruch anzurechnen ist.

Beispiel: Statt Ihren Sohn als Miterben einzusetzen, bestimmen Sie Ihre Ehefrau zur Alleinerbin und setzen für Ihren Sohn ein Vermächtnis in Höhe seines Pflichtteils aus. Sie können dabei festlegen, dass dieses Vermächtnis in Form einer bestimmten Immobilie oder eines Wertpapierdepots erfüllt wird, statt durch Bargeld. Dies kann die Liquidität des Nachlasses schonen und gleichzeitig dem Pflichtteilsberechtigten einen Anreiz bieten, das Vermächtnis anzunehmen statt den Pflichtteil zu fordern.

Nach dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 09.03.1983 (Az. IVa ZR 211/81) ist diese Anrechnungsstrategie rechtlich zulässig, solange der Wert des Vermächtnisses mindestens dem Pflichtteilsanspruch entspricht.

Hinweis: Das Anrechnungsvermächtnis reduziert den Pflichtteil nicht direkt, sondern bietet eine Alternative zur Auszahlung in Bargeld.

Kombination von Vor- und Nacherbschaft mit Vermächtnissen

Eine besonders geschickte Strategie ist die Kombination von Vor- und Nacherbschaft mit gezielten Vermächtnissen. Hierbei wird beispielsweise der Ehepartner als Vorerbe eingesetzt und die Kinder als Nacherben. Gleichzeitig werden den Kindern Vermächtnisse ausgesetzt, die ihren Pflichtteilsanspruch abdecken oder übertreffen.

Diese Konstruktion bietet mehrere Vorteile:

  • Der überlebende Ehepartner ist zunächst wirtschaftlich abgesichert
  • Die Kinder erhalten bereits beim ersten Erbfall etwas zugewendet
  • Die Motivation, den Pflichtteil geltend zu machen, sinkt
  • Das Nachlassvermögen bleibt grundsätzlich erhalten

Nießbrauchsvermächtnisse

Eine weitere effektive Strategie besteht darin, einem Pflichtteilsberechtigten ein Vermächtnis zu hinterlassen, das einen Nießbrauch an einer Immobilie beinhaltet. Der Pflichtteilsberechtigte erhält dadurch lebenslang die Nutzung oder die Erträge der Immobilie, während das Eigentum selbst an andere Erben geht.

Diese Lösung kann für beide Seiten vorteilhaft sein:

  • Der Pflichtteilsberechtigte erhält einen wirtschaftlichen Wert, der oft über dem reinen Pflichtteilsanspruch liegt
  • Die Substanz des Vermögens bleibt erhalten
  • Die Immobilie muss nicht veräußert werden, um Pflichtteilsansprüche zu befriedigen

Lebzeitige Zuwendungen in Kombination mit Vermächtnissen

Die Kombination aus lebzeitigen Schenkungen und testamentarischen Vermächtnissen eröffnet besonders große Gestaltungsspielräume. Wichtig ist hierbei die sogenannte Zehnjahresfrist nach § 2325 BGB: Schenkungen, die mehr als zehn Jahre vor dem Erbfall getätigt wurden, werden bei der Berechnung des Pflichtteils nicht mehr berücksichtigt.

Eine strategische Vorgehensweise könnte so aussehen:

  1. Lebzeitige Übertragung bestimmter Vermögenswerte an die gewünschten Begünstigten
  2. Berücksichtigung der Zehnjahresfrist für die Pflichtteilsergänzungsansprüche
  3. Testamentarische Anordnung von Vermächtnissen für die Pflichtteilsberechtigten
  4. Präzise Formulierung von Anrechnungsbestimmungen für frühere Zuwendungen

Einsatz von Pflichtteilsverzichtsvereinbarungen

In Kombination mit Vermächtnissen können Pflichtteilsverzichtsvereinbarungen eine wirkungsvolle Strategie darstellen. Hierbei verzichtet ein potenzieller Pflichtteilsberechtigter gegen eine Abfindung (oft in Form eines Vermächtnisses) auf seinen Pflichtteilsanspruch.

Pflichtteilsverzichtsvereinbarungen erfordern eine notarielle Beurkundung und sollten nur nach eingehender rechtlicher Beratung abgeschlossen werden. Für die Wirksamkeit ist besonders auf die korrekte Form und inhaltliche Ausgestaltung zu achten.

Rechtliche Grenzen und Fallstricke

Bei aller Gestaltungsfreiheit gibt es rechtliche Grenzen, die unbedingt beachtet werden müssen:

Sittenwidrigkeit und Umgehungsgeschäfte

Gestaltungen, die erkennbar nur auf die Umgehung des Pflichtteilsrechts abzielen, können vom Gericht als sittenwidrig eingestuft werden. Der BGH hat in mehreren Entscheidungen klargestellt, dass die Grenze zur Sittenwidrigkeit überschritten ist, wenn die gewählte Konstruktion ausschließlich darauf abzielt, Pflichtteilsansprüche zu vereiteln.

Pflichtteilsergänzungsansprüche bei Schenkungen

Bei lebzeitigen Schenkungen ist die Zehnjahresfrist nach § 2325 BGB zu beachten. Innerhalb dieser Frist können Pflichtteilsberechtigte Pflichtteilsergänzungsansprüche geltend machen, wobei der anzurechnende Wert der Schenkung pro Jahr um ein Zehntel abnimmt.

Korrekte Bewertung von Vermögensgegenständen

Für die Wirksamkeit von Vermächtnisregelungen ist eine realistische Bewertung der Vermögensgegenstände entscheidend. Unterbewertungen können später zu Streitigkeiten und Nachforderungen führen.

Anfechtungsrisiken

Ungeschickt formulierte Testamente oder Vermächtnisse können angefochten werden. Eine präzise und rechtssichere Formulierung ist daher unerlässlich.

Häufig gestellte Fragen

Kann der Pflichtteil vollständig umgangen werden?

Eine vollständige Umgehung des Pflichtteils ist nur in sehr seltenen Ausnahmefällen nach § 2333 BGB möglich, etwa bei schweren Verfehlungen des Pflichtteilsberechtigten.

Anders als der Erbe wird der Vermächtnisnehmer nicht Teil der Erbengemeinschaft und haftet nicht für Nachlassverbindlichkeiten. Zudem können Vermächtnisse mit spezifischen Bedingungen und Auflagen versehen werden, was bei der Pflichtteilsgestaltung strategische Vorteile bietet.

Schenkungen, die mehr als zehn Jahre vor dem Erbfall getätigt wurden, werden bei der Berechnung des Pflichtteils nicht berücksichtigt (§ 2325 BGB). Bei einem früheren Ableben werden Schenkungen anteilig berücksichtigt; der anzurechnende Wert sinkt pro Jahr um ein Zehntel.

Ja. Ein Pflichtteilsverzicht ist durch notariellen Vertrag mit dem künftigen Erblasser möglich (§ 2346 BGB). Meist erfolgt der Verzicht gegen eine angemessene Abfindung, die regelmäßig unter dem zu erwartenden Pflichtteil liegen kann.

Bei Unternehmensvermögen empfiehlt sich häufig eine Kombination aus lebzeitiger Übertragung, gesellschaftsrechtlichen Gestaltungen und ergänzenden Vermächtnisregelungen. Auch die Einrichtung einer Familienstiftung kann sinnvoll sein.

Dem Pflichtteilsberechtigten wird ein Vermächtnis zugewendet mit der Anordnung, dass dieses auf seinen Pflichtteilsanspruch anzurechnen ist. Der Wert sollte mindestens dem Pflichtteilsanspruch entsprechen, um dessen Geltendmachung unattraktiv zu machen.

Ja, insbesondere das Berliner Testament mit passenden Vermächtnisanordnungen kann wirksam sein. Allerdings entsteht beim klassischen Berliner Testament für die Kinder beim Tod des erstversterbenden Elternteils ein Pflichtteilsanspruch, der z. B. durch ein Anrechnungsvermächtnis abgefangen werden kann.

Je früher, desto besser. Viele Optionen—vor allem lebzeitige Übertragungen unter Beachtung der Zehnjahresfrist—brauchen Zeit. Frühzeitige Gespräche mit potenziellen Pflichtteilsberechtigten erhöhen zudem die Akzeptanz.

Die Kosten hängen von Komplexität und Vermögensumfang ab. Typischerweise umfasst das Angebot ein ausführliches Erstgespräch und ein schriftliches Konzept. Die Investition amortisiert sich meist durch reduzierte Pflichtteilsansprüche und ggf. geringere Erbschaftsteuer.

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