Kündigung während Wiedereingliederung: Ihre Rechte und Handlungsmöglichkeiten

Lesedauer: 4 Minuten
Kündigung während Wiedereingliederung

Das Wichtigste im Überblick

Wiedereingliederung und Kündigungsschutz

Die Wiedereingliederung nach längerer Krankheit stellt für Arbeitnehmer eine besonders sensible Phase dar. Viele Betroffene stellen sich die Frage, ob sie während dieser Zeit vor einer Kündigung geschützt sind und welche Rechte ihnen zustehen. Die rechtliche Situation ist komplex und hängt von verschiedenen Faktoren ab.

Rechtliche Grundlagen der Wiedereingliederung

Die stufenweise Wiedereingliederung, auch als “Hamburger Modell” bekannt, basiert auf den Grundsätzen des betrieblichen Eingliederungsmanagements (§ 167 SGB IX) und ermöglicht es arbeitsunfähigen Arbeitnehmern, nach längerer Krankheit schrittweise ihre volle Arbeitsleistung wieder zu erbringen.

Während der Wiedereingliederung befinden sich Arbeitnehmer rechtlich in einem besonderen Status. Sie gelten weiterhin als arbeitsunfähig und erhalten Krankengeld von der Krankenkasse. Das Arbeitsverhältnis ruht während dieser Zeit, sodass keine Vergütungspflicht des Arbeitgebers besteht.

Der Kündigungsschutz während der Wiedereingliederung richtet sich nach den allgemeinen Bestimmungen des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) und den besonderen Schutzvorschriften für bestimmte Personengruppen. Ein absoluter Kündigungsschutz besteht grundsätzlich nicht.

Kündigungsarten und deren Zulässigkeit

Ordentliche Kündigung

Eine ordentliche Kündigung ist während der Wiedereingliederung grundsätzlich möglich. Der Arbeitgeber muss jedoch die Kündigungsfristen nach § 622 BGB einhalten und bei Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes einen sozial gerechtfertigten Kündigungsgrund nachweisen.

Die Wiedereingliederung selbst stellt keinen Kündigungsgrund dar. Vielmehr muss der Arbeitgeber darlegen, dass betriebsbedingte, personenbedingte oder verhaltensbedingte Gründe vorliegen, die eine Kündigung rechtfertigen.

Außerordentliche Kündigung

Eine fristlose Kündigung während der Wiedereingliederung ist nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes nach § 626 BGB möglich. Dieser muss so schwerwiegend sein, dass dem Arbeitgeber eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann.

Die gesundheitliche Situation des Arbeitnehmers oder die Teilnahme an der Wiedereingliederung können grundsätzlich keinen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung darstellen.

Krankheitsbedingte Kündigung

Besonders relevant ist die Frage nach der krankheitsbedingten Kündigung. Hier muss der Arbeitgeber eine negative Gesundheitsprognose, erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen und eine umfassende Interessenabwägung darlegen können.

Die Teilnahme an einer Wiedereingliederungsmaßnahme kann durchaus als Indiz für eine positive Gesundheitsprognose gewertet werden, was gegen eine krankheitsbedingte Kündigung sprechen würde.

Besonderer Kündigungsschutz

Schwerbehinderte Arbeitnehmer

Schwerbehinderte Menschen genießen nach § 168 SGB IX einen besonderen Kündigungsschutz. Vor jeder Kündigung muss das Integrationsamt zustimmen. Dieser Schutz gilt auch während der Wiedereingliederung uneingeschränkt.

Schutz in den ersten vier Wochen

Nach der Rückkehr aus der Arbeitsunfähigkeit besteht für vier Wochen ein besonderer Kündigungsschutz gemäß den Bestimmungen des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG), insbesondere in Verbindung mit der Rechtsprechung zum Schutz in der ‘Probezeit’ nach Wiedereingliederung.

Eine ordentliche Kündigung ist in dieser Zeit nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände möglich.

Betriebsratsanhörung

Bei Vorhandensein eines Betriebsrats muss dieser vor jeder Kündigung angehört werden. Dies gilt auch für Kündigungen während der Wiedereingliederung. Eine ohne ordnungsgemäße Betriebsratsanhörung ausgesprochene Kündigung ist unwirksam.

Typische Konfliktfelder und Problemstellungen

Abbruch der Wiedereingliederung

Häufig entstehen Konflikte, wenn die Wiedereingliederung nicht wie geplant verläuft. Bricht der Arbeitnehmer die Maßnahme ab oder zeigt sich, dass eine vollständige Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit nicht möglich ist, sehen sich Arbeitgeber oft zu einer Kündigung veranlasst.

Neue Arbeitsunfähigkeit

Wird der Arbeitnehmer während der Wiedereingliederung erneut arbeitsunfähig, stellt sich die Frage nach den weiteren Modalitäten. Eine Kündigung allein wegen der erneuten Erkrankung ist rechtlich problematisch.

Unzureichende Leistung

Kann der Arbeitnehmer während der Wiedereingliederung nicht die erwartete Leistung erbringen, berechtigt dies nicht automatisch zu einer Kündigung. Vielmehr sind alternative Lösungen wie Versetzung oder Arbeitsplatzanpassung zu prüfen.

Praktische Handlungsempfehlungen für Arbeitnehmer

Vor Beginn der Wiedereingliederung

Lassen Sie sich bereits vor Beginn der Wiedereingliederung über Ihre Rechte informieren. Klären Sie mit Ihrem Arbeitgeber die Modalitäten und dokumentieren Sie alle Vereinbarungen schriftlich.

Während der Wiedereingliederung

Führen Sie ein Tätigkeitstagebuch und dokumentieren Sie Ihren Gesundheitsverlauf. Informieren Sie Ihren Arbeitgeber umgehend über Probleme oder Verschlechterungen Ihres Gesundheitszustands.

Bei Kündigung

Lassen Sie sich umgehend anwaltlich beraten und prüfen Sie die Möglichkeit einer Kündigungsschutzklage. Die Frist für eine Klage beträgt nur drei Wochen nach Zugang der Kündigung.

Aktuelle Entwicklungen in der Rechtsprechung

Die Rechtsprechung zum Kündigungsschutz während der Wiedereingliederung entwickelt sich kontinuierlich weiter. Gerichte betonen zunehmend die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers und die Notwendigkeit, alle milderen Mittel vor einer Kündigung zu prüfen.

Besondere Bedeutung gewinnt dabei das betriebliche Eingliederungsmanagement nach § 167 SGB IX. Arbeitgeber sind verpflichtet, bei längerer oder wiederholter Arbeitsunfähigkeit ein solches Verfahren durchzuführen. Die Missachtung dieser Pflicht kann sich negativ auf die Wirksamkeit einer späteren Kündigung auswirken.

Checkliste: Ihre Rechte bei Kündigung während Wiedereingliederung

  • Prüfung der Kündigungsfrist und -form
  • Kontrolle der Betriebsratsanhörung (falls vorhanden)
  • Überprüfung auf besonderen Kündigungsschutz (Schwerbehinderung, Mutterschutz etc.)
  • Analyse des angegebenen Kündigungsgrunds
  • Prüfung alternativer Beschäftigungsmöglichkeiten
  • Dokumentation des bisherigen Wiedereingliederungsverlaufs
  • Einholung ärztlicher Stellungnahmen
  • Wahrung der Klagefrist von drei Wochen
  • Beantragung einstweiliger Verfügung bei besonderer Eilbedürftigkeit

Die Rechtsanwälte von Abegg & Abegg unterstützen Sie dabei, Ihre Rechte vollumfänglich durchzusetzen und die bestmögliche Lösung für Ihre Situation zu finden.

Fazit

Eine Kündigung während der Wiedereingliederung ist rechtlich möglich, unterliegt jedoch besonderen Anforderungen. Arbeitnehmer sollten ihre Rechte kennen und bei einer Kündigung umgehend rechtlichen Rat einholen. Die komplexe Rechtslage erfordert eine individuelle Prüfung des Einzelfalls.

Die frühzeitige Beratung durch erfahrene Arbeitsrechtler kann dazu beitragen, Kündigungen zu vermeiden oder erfolgreich anzufechten. Dabei ist eine schnelle Reaktion entscheidend, da wichtige Fristen zu beachten sind.

Lassen Sie sich nicht entmutigen – auch in schwierigen Situationen gibt es rechtliche Handlungsoptionen. Wir von Abegg & Abegg stehen Ihnen mit unserer langjährigen Erfahrung im Arbeitsrecht zur Seite und entwickeln gemeinsam mit Ihnen eine tragfähige Lösung.

Häufig gestellte Fragen

Kann mein Arbeitgeber mir während der Wiedereingliederung kündigen?

Ja, grundsätzlich ist eine Kündigung möglich. Sie unterliegt jedoch den allgemeinen Kündigungsschutzbestimmungen und besonderen Schutzvorschriften.

Ein absoluter Kündigungsschutz besteht nicht. Schwerbehinderte Menschen haben jedoch besonderen Schutz, und in den ersten vier Wochen nach Rückkehr gilt ein erhöhter Kündigungsschutz.

Lassen Sie sich umgehend anwaltlich beraten und prüfen Sie eine Kündigungsschutzklage. Die Klagefrist beträgt nur drei Wochen.

Nein, die Wiedereingliederung selbst ist kein direkter Kündigungsgrund. Allerdings kann eine gescheiterte Wiedereingliederung im Rahmen einer krankheitsbedingten Kündigung als Indikator für eine negative Gesundheitsprognose berücksichtigt werden, sofern weitere Voraussetzungen erfüllt sind.

Das BEM ist vom Arbeitgeber durchzuführen. Seine Missachtung kann sich negativ auf die Wirksamkeit einer späteren Kündigung auswirken.

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